Streben nach Erkenntnis um ihrer selbst willen, an Fanatismus grenzende Liebe zur Gerechtigkeit und Streben nach persönlicher Selbständigkeit – das sind die Motive der Tradition des jüdischen Volkes, die mich meine Zugehörigkeit zu ihm als ein Geschenk des Schicksals empfinden lassen. (...) Eine jüdische Weltanschauung im philosophischen Sinne gibt es nach meiner Meinung nicht. Judentum scheint mir fast ausschließlich die moralische Einstellung im Leben und zum Leben zu betreffen. Judentum scheint mir mehr der Inbegriff der im jüdischen Volke lebendigen Lebenseinstellung zu sein als der Inbegriff der in der Thora niedergelegten und im Talmud interpretierten Gesetze. Thora und Talmud sind für mich nur die wichtigsten Zeugnisse für das Walten der jüdischen Lebensauffassung in früherer Zeit. Das Wesen der jüdischen Lebensauffassung scheint mir zu sein: Bejahung des Lebens aller Geschöpfe. Leben des Individuums hat nur Sinn im Dienst der Verschönerung und Veredelung des Lebens alles Lebendigen. Leben ist heilig, d.h. der höchste Wert, von dem alle Wertungen abhängen. (Albert Einstein, Mein Weltbild)